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Gesetzesinitiative zur Einführung einer Lernmittelbeihilfe im Bundesrat

Beim Thema Schulmaterialen und Lernmittel kommt Bewegung in die Debatte. Das Bundesland Rheinland-Pfalz hat am 28. September 2007 einen „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch” im Bundesrat eingebracht (Drs. 676/07). Der Entwurf sieht vor, dass zu Beginn eines Schulhalbjahres 20 % der jeweiligen Regelleistung eines Schulkindes (je nach Alter 83,20 oder 112,20 EUR jährlich) als pauschalierte Beihilfe zu erbringen sind.

Die Gesetzesinitiative belegt, dass die Kampagne „Reiches Land – Arme Kinder? Einkommen zum Auskommen” von Erwerbslosengruppen, gewerkschaftlichen Gruppen sowie ähnliche Initiativen von Sozialverbänden und der Tacheles-Vorschlag zur die Einführung von Lernmittelbeihilfen nicht nur in der Öffentlichkeit sondern auch bei der Politik angekommen ist und sogar Wirkung zeigt.

Der rheinland-pfälzische Vorschlag geht zumindest in die richtige Richtung. Damit wird immerhin ein Teil des tatsächlichen Schulbedarfs gedeckt. Außerdem wird auch seitens der Politik offiziell anerkannt, dass Schulkosten nicht von der Kinderregelleistung umfasst sind. Der Vorstoß reicht aber bei Weitem nicht aus, um die Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern aus einkommensarmen Familien aufzuheben. Zudem erreicht er nicht ökonomisch benachteiligten Familien, die aufgrund von eigenem Einkommen nur knapp über dem sozialhilferechtlichen Bedarf liegen, und der Entwurf enthält auch keine Öffnungsklausel für besondere Bedarfslagen. Der Vorstoß greift damit zu kurz.

  • Die Kosten für Schulbücher bleiben unberücksichtigt
    Lernmittelfreiheit unterliegt den jeweiligen landesrechtlichen Regelungen. Je nachdem, in welchem Bundesland ein SGB II-beziehenes Kind lebt, müssen unterschiedliche Zuzahlungen geleistet werden. Nur eine Erstattung der tatsächlich nachgewiesenen Kosten für Lernmittel, Schulbedarf und andere mit dem Schulbesuch unmittelbar verbundenen Kosten kann den unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Bundesländern und den ungleichen Anforderungen an die verschiedenen Schulformen adäquat Rechnung tragen.

  • Öffnungsklausel für abweichende Bedarfslagen
    Der Entwurf aus Rheinland-Pfalz enthält keine Öffnungsklausel. Da Lernmittel in dem Gesetzesentwurf nach § 23 Abs. 3 Nr. 3a SGB II nicht mehr von der Regelleistung umfasst sind, stellt sich die Frage was gescheit, wenn Lernmittelkosten anfallen, die durch die Pauschalen nicht gedeckt sind. Da sie nicht mehr von der Regelleistung umfasst wären, wäre auch keine darlehensweise Gewährung nach § 23 Abs. 1 SGB II möglich. Ein solches Darlehen kann nur für von der Regelleistung umfassten nach den Umständen unabweisbaren Bedarf erbracht werden.
    Hier fehlt eine Öffnungsklausel, um höhere Bedarflagen und Härte- bzw. Notfälle abzudecken. Was ist z.B., wenn einem Kind der Schulranzen geklaut wird und umfängliche Neuanschaffungen von bis zu 200 Euro für Ranzen, Etui, Füller, Hefte, Bücher usw. notwendig werden? In der Praxis wird eine Pauschale ohne Ausnahmeregung den alltäglichen Bedarflagen keinesfalls gerecht.

  • Begrenzung der Beihilfe auf Lernmittel ist nicht sachgemäß
    Aus dem Gesetzestext nebenst Begründung geht nicht klar hervor, was überhaupt unter Lernmittel zu verstehen ist und welche Konsequenzen leistungsrechtlich daraus zu ziehen sind. Werden Lernmittel dann nicht mehr von der Regelleistung umfasst aber Schulmaterialen? Was ist mit Nachhilfeunterricht oder mit notwendigen Fahrtkosten, die nicht von Dritten getragen werden.
    Wenn die entsprechenden Leistungen oder Bestandteile davon nicht mehr von der Regelleistung umfasst sein sollen und ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II konsequenterweise ausgeschlossen wäre (s.o.), führt eine Pauschalierung am unteren Ende regelmäßig – nicht ausnahmsweise (!) – zur Bedarfsunterdeckung, der an anderer Stelle nicht entgegengesteuert werden kann. Nur einer Erstattung der Schulkosten in tatsächlicher Höhe schließt ein solches Dilemma aus.


Der Gesetzesentwurf aus Rheinland Pfalz zeigt, dass bei der Frage des ungedeckten Schulbedarfs von Kindern aus einkommensschwachen Familien ein Problembewusstsein bereits vorhanden ist. Die einschränkende Pauschalierung im Gesetzentwurf und die fehlende Möglichkeit individuelle Bedarfslagen zu decken, sind jedoch nicht praxisgerecht. Der Vorschlag des Erwerbslosenvereins Tacheles e.V. zur Änderung des SGB II und SGB XII sieht die Erstattung von Schulmaterialen, Lernmittel sowie sonstiger durch den Schulbesuch entstehende Aufwendungen vor. Diese Lösung umfasst alle Bedarfslagen und bedürftige Personengruppen.

Um das durchzusetzen ist eine schnelle Intervention durch Sozialverbände, Wohlfahrtsverbände, Betroffenenorganisationen und sonstige Organisationen gefragt und natürlich auch Druckausüben durch die Betroffenen selbst.

Tacheles Onlineredaktion
Harald Thomé und Frank Jäger





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