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Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes

Sozialdemokratische Partei Deutschlands Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (AsJ)



– Der Bundesvorstand –



für den Bundesvorstand
Prof. Dr. Uwe Berlit

EMail: uberlit@debitel.net

18. März 2004




zum Gesetzentwurf des Bundesrates „Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes”



BR-Drs. 663/03 (Beschluss) vom 13. Februar 2004

1. Der Bundesrat hat am 13. Februar 2004 einen Gesetzentwurf beschlossen, nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren die Gerichtskostenfreiheit für Versicherte, Leistungsempfänger und Behinderte zugunsten einer vom Verfahrensausgang abhängigen pauschalierten allgemeinen Verfahrensgebühr abgeschafft werden soll (Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, BR-Drs. 663/03 [Beschluss]).

  • Diese allgemeine Verfahrensgebühr soll neben die von den Leistungsträgern zu entrichtende besondere Verfahrensgebühr treten, die unabhängig vom Verfahrensausgang zu entrichten ist.
  • Ziel ist, „die bereits gegebene Eingangs- und Kostenflut der sozialgerichtlichen Verfahren bewältigen und zumutbare Verfahrenslaufzeiten gewährleisten zu können”; mit der Aufhebung des Grundsatzes der Kostenfreiheit sei „mit einer erheblichen Reduktion der Streitsachen zu rechnen”.


2. Der Gesetzentwurf ist insgesamt abzulehnen:

  • Die Sozialgerichtsbarkeit hat zwar – auch im Vergleich zu anderen öffentlichrechtlichen Fachgerichtsbarkeiten - einen relativ geringen Kostendeckungsgrad. Dies ist aber Ausdruck des in einem sozialen Rechtsstaat gebotenen fairen, vom Einkommen und Vermögen unabhängigen Zugang zu Gericht gerade in Bereichen existenzsichernder Sozialleistungen.
  • Es ist nicht festzustellen, dass in qualitativ beachtlichem Umfange Versicherte, Leistungsempfänger oder Behinderte die Sozialgerichtsbarkeit missbräuchlich in Anspruch nähmen. Der Gesetzentwurf zielt ungeachtet des Hinweises auf die vermeintlich sozialverträgliche Höhe der Gebühr und die Möglichkeit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gleichwohl auf eine Reduktion der Verfahren durch Abschreckung.
  • Der Hinweis auf die zum 1.1.2005 erheblich anwachsende Zahl der Verfahren ist zynisch: Dem Gesetzgeber konnte und musste bei der Zuweisung der Rechtsstreitigkeiten nach dem SGB II und dem SGB XII die Belastungssituation der Sozialgerichte bekannt sein; der zum 1.1.2005 erwartbare Belastungszuwachs ist durch andere Maßnahmen als durch eine Gebührenerhebung mit Abschreckungseffekt zu bewältigen.
  • Die Einführung der allgemeinen Verfahrensgebühr wird in zu einem erheblichem Mehraufwand durch die Bearbeitung der erwartbaren Prozesskostenhilfeanträge erwarten; die erwarteten Gebührenmehreinnahmen werden allzumal dann durch die Prozesskostenhilfegewährung aufgezehrt werden, wenn damit in vermehrtem Umfange die Beiordnung eines Rechtsanwalts verbunden wird.
  • Die allgemeine Verfahrensgebühr stellt die – ohnehin fragile – Rechtfertigung der besonderen, unabhängig vom Verfahrensausgang zu zahlenden Pauschalgebühr in Frage.


3. Der Gesetzentwurf bedürfte der grundlegenden Überarbeitung auch dann, wenn dem Grunde nach die Aufhebung des Grundsatzes der Kostenfreiheit als sozial- und rechtsstaatlich noch vertretbar unterstellt würde. Die wichtigsten Punkte sind:

  • Aus guten Gründen sollen in Verfahren um Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialhilfe (in Anlehnung an § 188 VwGO) auch künftig Gerichtskosten nicht erhoben werden (§ 185 Abs. 3 E-SGG). Diese richtige Entscheidung wird systemwidrig nicht auf die Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II erstreckt: Die Grundsicherung nach dem SGB II tritt ab dem 1.1.2005 als Basissicherungssystem zu weiten Teilen an die bisherige Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG, die Gerichtskostenfreiheit ist daher auf Verfahren nach dem SGB II zu erstrecken.
  • Die in § 187 Abs. 2 E-SGG vorgesehene Vorschusspflicht führt auch in Hauptsacheverfahren zu Mehraufwand und Verfahrensverzögerungen und ist — vor allem — nicht hinreichend mit den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutz abgestimmt, die in den Bereichen der existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II bzw. dem SGB XII ab dem 1.1.2005 erheblich an Bedeutung gewinnen werden. Dieses erwartbare Problem ist im Gesetzestext selbst zu lösen und nicht – wie in der Begründung ausgeführt – dadurch auf die Richterschaft zu verschieben, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes „mit Blick auf Artikel 19 Abs. 4 GG und den verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch von einer Anwendung dieser Bestimmung abgesehen werden [kann], wenn zu befürchten ist, dass andernfalls die das Rechtsschutzanliegen des Antragstellers in für ihn unzumutbarer Weise vereitelt würde”.
  • Bei der in § 102 Abs. 2 E-SGG vorgesehenen Fiktion einer Antrags- oder Klagerücknahme bei Nichtzahlung der allgemeinen Verfahrensgebühr ist der Verfahrensbeteiligte zumindest auch über die Möglichkeit zu belehren, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu beantragen. Klarzustellen ist, ob zur Fristwahrung auch ein vollständiger PKH-Antrag erforderlich ist, der das nach § 117 Abs. 4 ZPO eingeführte Formular benutzt. Anzuregen ist aus sozialstaatlichen Gründen, eine antragsunabhängige Gewährung von Prozesskostenhilfe von Amts wegen zumindest dann zuzulassen, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Erfolgsaussichten nach Aktenlage beurteilen lassen.


Dr. Klaus Hahnzog, MdL
Vorsitzender des Ausschusses für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen
Bürgerbüro
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