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Gefährliche Entwicklung am SG Berlin
Seit dem 01.09.2019 hat sich das AsylbLG massiv verschärft. Alleinstehende in Sammelunterkünften erhalten nur noch 90% des AsylbLG-Grundbedarfs. Schon 100% sind mit 351 EUR monatlich extrem niedrig; 90% davon sind nur noch 316 EUR.
Viele Gerichte haben diese krasse Unterdeckung des menschenwürdigen Existenzminimums bereits für verfassungswidrig erklärt und zumindest im Eilrechtsschutz vorläufig höhere Leistungen bewilligt (vor allem: LSG Sachsen, SG Landshut, SG Hannover; SG Freiburg; SG Frankfurt/Main; SG Leipzig; SG München). Andere Gerichte lehnen zwar grds. in diesen Fällen Eilanträge ab, halten aber zumindest während der Pandemie eine vorläufige Aussetzung der Leistungsminderung für zwingend geboten (vor allem: SG Kassel und SG Cottbus).
Am SG Berlin verweigern fast alle für AsylbLG zuständigen Kammern jegliche Auseinandersetzung mit dieser Problematik. Der Kniff dabei: Es wird erklärt, dass im Eilrechtsschutz nie und unter keinen Umständen das volle Existenzminimum erreicht werden könnte. Leistungen unterhalb des Existenzminimums seien vorübergehend hinzunehmen. Einzig bei der Frage, welche Leistungsminderungen konkret noch hinnehmbar seien, gehen die Meinungen am SG Berlin auseinander – die Bandbreite geht von 10% bis 30%; die Extremposition ist, dass ein Eilantrag nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Leistungen 195,66 EUR (das ist der Leistungssatz nach § 1a AsylbLG) unterschreiten (so zuletzt: SG Berlin, Beschluss vom 12.05.2020 – S 146 AY 60/20 ER).
Die Begründung des SG Berlin für diese Ansicht ist haarsträubend. Es wird gesagt, dass der Gesetzgeber mit verschiedenen Normen zeige, dass er Leistungsminderungen für zulässig hält (§ 1a AsylbLG; §§ 26, 39a SGB XII) und deshalb könnten zu niedrige Leistungen im Eilverfahren nicht angegriffen werden. Einige Kammern lehnen sogar Prozesskostenhilfe deswegen ab (SG Berlin, Beschluss vom 04.12.2019 – S 47 AY 159/19 ER; Beschluss vom 13.12.2019 – S 88 AY 182/19 ER; Beschluss vom 12.05.2020 – S 146 AY 60/20 ER). „Die Ablehnung von PKH in diesen Fällen mit dieser Begründung enthält die Aussage, dass Eilanträge wegen einer Unterdeckung des Existenzminimums unter allen Umständen abzulehnen sind und alle Gerichte, die solchen Anträgen stattgeben, Rechtsbeugung begehen“, sagt Harald Thomé und ergänzt: „Diese Praxis hat mit Rechtsprechung nur noch wenig zu tun und kann eigentlich nur als gefährlicher Unsinn bezeichnet werden“.
Mit einem Beschluss vom 18.05.2020 wird nun noch eins draufgesetzt (S 145 AY 51/20 ER). Hier erklärt der Richter Folgendes:
„Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 5. November 2019 (BVerfG Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, juris) darüber hinaus sogar klargestellt, dass eine Leistungsminderung im Sanktionsrecht des Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) um bis zu 30 Prozent verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Im Umkehrschluss ließe sich argumentieren, dass sogar durch eine solche Minderung das zum Lebensunterhalt Unerlässliche nicht unterschritten wird.“
Tatsächlich hat das BVerfG natürlich festgestellt, dass Leistungsminderungen im SGB II nur unter extrem strengen Voraussetzungen denkbar sind und dass dabei stets zu beachten ist, dass das menschenwürdige Existenzminimum niemals unterschritten wird. Was sind das für Richter, die nicht einmal des Lesens mächtig sind? Soviel Ignoranz in Robe ist nur noch erschreckend.
„Wenn diese Entwicklung am SG Berlin um sich greifen würde, wäre das im Ergebnis das Ende des Eilrechtsschutzes im Existenzsicherungsrecht“, sagt Thomé. Diese Entwicklung ist gefährlich. Was heute nur bei Ausländern abgewandt wird, kann morgen schon auch im SGB II/XII angewandt werden. Was das SG Berlin macht, ist nichts anderes, als unterhalb des menschenwürdigen Existenzminimums ein „unabweisbar notwendiges Existenzminimum“ zu schaffen, dass im Extremfall mit 195,66 EUR beziffert wird.
Harald Thomé
Tacheles - Online - Redaktion
Viele Gerichte haben diese krasse Unterdeckung des menschenwürdigen Existenzminimums bereits für verfassungswidrig erklärt und zumindest im Eilrechtsschutz vorläufig höhere Leistungen bewilligt (vor allem: LSG Sachsen, SG Landshut, SG Hannover; SG Freiburg; SG Frankfurt/Main; SG Leipzig; SG München). Andere Gerichte lehnen zwar grds. in diesen Fällen Eilanträge ab, halten aber zumindest während der Pandemie eine vorläufige Aussetzung der Leistungsminderung für zwingend geboten (vor allem: SG Kassel und SG Cottbus).
Am SG Berlin verweigern fast alle für AsylbLG zuständigen Kammern jegliche Auseinandersetzung mit dieser Problematik. Der Kniff dabei: Es wird erklärt, dass im Eilrechtsschutz nie und unter keinen Umständen das volle Existenzminimum erreicht werden könnte. Leistungen unterhalb des Existenzminimums seien vorübergehend hinzunehmen. Einzig bei der Frage, welche Leistungsminderungen konkret noch hinnehmbar seien, gehen die Meinungen am SG Berlin auseinander – die Bandbreite geht von 10% bis 30%; die Extremposition ist, dass ein Eilantrag nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Leistungen 195,66 EUR (das ist der Leistungssatz nach § 1a AsylbLG) unterschreiten (so zuletzt: SG Berlin, Beschluss vom 12.05.2020 – S 146 AY 60/20 ER).
Die Begründung des SG Berlin für diese Ansicht ist haarsträubend. Es wird gesagt, dass der Gesetzgeber mit verschiedenen Normen zeige, dass er Leistungsminderungen für zulässig hält (§ 1a AsylbLG; §§ 26, 39a SGB XII) und deshalb könnten zu niedrige Leistungen im Eilverfahren nicht angegriffen werden. Einige Kammern lehnen sogar Prozesskostenhilfe deswegen ab (SG Berlin, Beschluss vom 04.12.2019 – S 47 AY 159/19 ER; Beschluss vom 13.12.2019 – S 88 AY 182/19 ER; Beschluss vom 12.05.2020 – S 146 AY 60/20 ER). „Die Ablehnung von PKH in diesen Fällen mit dieser Begründung enthält die Aussage, dass Eilanträge wegen einer Unterdeckung des Existenzminimums unter allen Umständen abzulehnen sind und alle Gerichte, die solchen Anträgen stattgeben, Rechtsbeugung begehen“, sagt Harald Thomé und ergänzt: „Diese Praxis hat mit Rechtsprechung nur noch wenig zu tun und kann eigentlich nur als gefährlicher Unsinn bezeichnet werden“.
Mit einem Beschluss vom 18.05.2020 wird nun noch eins draufgesetzt (S 145 AY 51/20 ER). Hier erklärt der Richter Folgendes:
„Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 5. November 2019 (BVerfG Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, juris) darüber hinaus sogar klargestellt, dass eine Leistungsminderung im Sanktionsrecht des Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) um bis zu 30 Prozent verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Im Umkehrschluss ließe sich argumentieren, dass sogar durch eine solche Minderung das zum Lebensunterhalt Unerlässliche nicht unterschritten wird.“
Tatsächlich hat das BVerfG natürlich festgestellt, dass Leistungsminderungen im SGB II nur unter extrem strengen Voraussetzungen denkbar sind und dass dabei stets zu beachten ist, dass das menschenwürdige Existenzminimum niemals unterschritten wird. Was sind das für Richter, die nicht einmal des Lesens mächtig sind? Soviel Ignoranz in Robe ist nur noch erschreckend.
„Wenn diese Entwicklung am SG Berlin um sich greifen würde, wäre das im Ergebnis das Ende des Eilrechtsschutzes im Existenzsicherungsrecht“, sagt Thomé. Diese Entwicklung ist gefährlich. Was heute nur bei Ausländern abgewandt wird, kann morgen schon auch im SGB II/XII angewandt werden. Was das SG Berlin macht, ist nichts anderes, als unterhalb des menschenwürdigen Existenzminimums ein „unabweisbar notwendiges Existenzminimum“ zu schaffen, dass im Extremfall mit 195,66 EUR beziffert wird.
Harald Thomé
Tacheles - Online - Redaktion