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Ein-Euro-Jobber fordert von der Uni Hamburg Entschädigung für Zwangsarbeit — Protest in Hamburg

Protest in Hamburg



Am heutigen Montag, den 6. November 2006, hat der Soziologe Thomas Meese zum ersten Mal vor der Hauptverwaltung der Uni Hamburg, an der Edmund-Siemers-Allee 1, eine persönliche Meinungskundgabe (fällt nicht unter das Versammlungsrecht) abgehalten. Er hat damit seine Forderung an die Universitätspräsidentin auf Entschädigung für die zwischen dem 24. August 2005 und dem 23. Juni 2006 an zwei Instituten der Uni Hamburg verrichtete Tätigkeit gem. § 16.3 SGB II als Soziologe (M.A.) bekräftigt.

In den folgenden Tagen wird Thomas Meese seine persönliche Meinungskundgabe fortsetzen, wobei er mit einem Aufstellschild auf seine Forderung aufmerksam macht und Flugschriften verteilt. Das Schreiben an die Universitätspräsidentin und das Flugblatt können als PDF-Dokumente in einer Zip-Datei kostenlos hier herunter geladen werden:
http://rapidshare.com/files/2212396/ENTSCHAEDIGUNG_EIN_EURO_UNI_HAMBURG.zip.html

Seine Forderung auf Entschädigung für Zwangsarbeit stützt sich auf das Übereinkommen 29 über Zwangs- und Pflichtarbeit der International Labour Organization (ILO). Die BRD hat dieses Übereinkommen am 13. Juni 1956 ratifiziert. Die ILO ist einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf. Ihre deutsche Vertretung sitzt in Berlin. Das ILO Übereinkommen 29 kann in deutscher Sprache unter dem folgenden weblink eingesehen werden:
http://www.ilo.org/ilolex/german/docs/gc029.htm

Die Definition für „Zwangs- oder Pflichtarbeit” findet sich unter Art. 2.1 und in Art. 9.c steht festgeschrieben, dass nicht freiwillige Arbeitskräfte wenigsten gleichwertig für ihre Arbeiten und Dienstleistungen entlohnt werden müssen. Ich argumentiere nun, dass die wissenschaftliche Mitarbeit, die ich im Rahmen des Ein-Euro-Jobs geleistet habe, vergleichbar ist mit der Arbeit von Kräften, die im Rahmen eines regulären Arbeitsverhältnisses mit ähnlicher Qualifikation an der Uni angestellt waren.

Daran wiederum, dass bei der Ausübung einer Arbeitsgelegenheit gem. § 16.3 SGB II durch einen Empfänger von ALG II in keinem Fall von Freiwilligkeit oder Einvernehmen die Rede sein kann, besteht kein Zweifel. Die Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGB II droht in ihren Richtlinien über die Durchführung von Arbeitsgelegenheiten (auf S. 3) ausdrücklich Sanktionen an. Dort heißt es: „Bei Weigerung eine Arbeitsgelegenheit aufzunehmen oder fortzuführen, werden die Leistungen des Arbeitslosengeldes II gekürzt. Bei jungen Menschen unter 25 entfällt diese Leistung für drei Monate”. Die Richtlinien können als PDF-Dokument unter dem folgenden weblink herunter geladen werden:
http://fhh.hamburg.de/stadt/Aktuell/behoerden/wirtschaft-arbeit/broschueren/richtlinie-arbeitsgemeinschaft-pdf,property=source.pdf
oder alternativ:
http://tinyurl.com/yhb5om

Thomas Meese argumentiert, dass eine teilweise oder vollständige Kürzung des ALG II für den Langzeitarbeitslosen eine Bedrohung seiner materiellen Existenz bedeutet und ihm somit die Wahlfreiheit nicht gegeben ist, den - stets mit entsprechenden Rechtsfolgebelehrungen verknüpften - Vermittlungsvorschlag für eine Maßnahme gem. § 16.3 SGB II abzulehnen.

Poltische Perspektiven aus Sicht von Thomas Meese



Die oben geschilderte Initiative hat Thomas Meese bis zu diesem Zeitpunkt selbst voran getrieben. Er setze hierbei auf das Prinzip der entschiedenen Handlung als Ultima ratio dessen, was dem Einzelnen in friedlicher politischer Willensbekundung zu tun möglich ist. Selbstverständlich hat er die Presse in Kenntnis gesetzt und um Berichterstattung gebeten. Einzelne Menschen und verschiedene Initiativen hat er um Rat und Unterstützung angegangen. Von der Resonanz hierauf wird es nun abhängen, was er mit seiner Strategie des "blaming and shaming" zu erreichen vermag und ob dieses Beispiel Schule macht oder nicht.

Thomas Meese bemüht sich in Hamburg um Zweckbündnisse, durch die in gezielten Aktionen andere Unternehmen und Institutionen der notablen Hansestadt, die schamlos Ein-Euro-Jobber im großen Still ausbeuten (z.B. haben die Verkehrsbetriebe einen eigenen Beschäftigungsträger mit über 100 Plätzen gegründet, verzeichnen jedoch lediglich eine Integrationsquote von 14,5 %) öffentlich bloß stellen können. Er rechne damit, dass sich keine Institution und kein Unternehmen eine Presse leisten will, die an die dunkelsten Stunden deutscher Geschichte gemahnt.

Auch am 09. November will er seine persönliche Meinungsbekundung vor der Hauptverwaltung der Uni Hamburg abhalten — kaum 50 Meter vom Platz der jüdischen Deportierten entfernt. Politisches Engagement, wie er es versteht, muß darauf angelegt sein, unermüdlich auf die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in einer Gesellschaft aufmerksam zu machen. Wer will einer politisch-ökonomischen Elite Vertrauen schenken, die ihre Verantwortung vor der Geschichte wortbekundet und zugleich Millionen von Arbeitslosen stigmatisiert und ihrer Lebenschancen beraubt?

Die Tacheles – Online Redaktion wird über den Fortgang der Aktion von Thomas Meese berichten.

Tacheles – Online Redaktion
Harald Thomé

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