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Die GoKo setzt Grundrechte für Erwerbslose außer Kraft — Gesetze werden im Eilverfahren durchgepeitscht

Gesetze werden im Eilverfahren durchgepeitscht



Es wurde heute bekannt, dass die große Koalition die geplanten Verschärfungen im SGB II mit Auszugsverbot und Leistungskürzung für junge Erwachsene unter 25 Jahre in einem Schnellverfahren noch am Freitag, den 17. Februar 2006 durch den Bundestag boxen will. Selbst gravierende handwerkliche Mängel die am Montag bei der Anhörung im Sozialausschuss im Bundestag deutlich wurden hindert die Koalitionäre nicht daran, das Gesetzgebungsverfahren mit der Brechstange abzuschließen, bevor überhaupt eine öffentliche Debatte über die brisanten Veränderungen geführt werden kann.

Es entsteht auch der Eindruck, dass die einmalige Eile, mit der dieses Gesetz nun durchgesetzt wird, sich über die spürbare Wut Betroffener und über die begonnene Mobilisierung durch Erwerbslosengruppen bedingt. Die Regierung will anscheinend bevor Proteste entstehen Fakten schaffen um damit Proteste wiederum im Keim ersticken.

In dem neuen, in letzter Minute veränderten Gesetzentwurf wurden noch schnell EU-Ausländern auf Arbeitssuche vom ALG II-Bezug ausgeschlossen. Ob dieser Ausschluss rechtlich haltbar ist und nicht gegen EU- Recht und gegen das Europäische Fürsorgeabkommen verstößt wird sich zeigen, denn nach diesem sind haben Bürger von EU-Staaten, die das europäische Fürsorgeabkommen unterschrieben haben, genauso behandelt zu werden, wie Deutsche. Die meisten Änderungen sollen nach dem neuen Entwurf zum 1. Juli in Kraft treten, obwohl nach Aussagen eines BA-Experten die nötigen Änderungen an den Computersystemen frühestens bis Anfang 2007 fertig gestellt werden können. Das Auszugsverbot für Erwachsene bis 25 tritt schon mit dem Tag des Bundestagsbeschlusses am 17. Februar in Kraft treten.

Damit sind die Verhältnisse klar. Eine gesellschaftliche Diskussion über Verschlechterungen und massive Eingriffe in das Leben und die persönliche Entwicklung von Familien und vor allem jungen Menschen will die Regierung mit diesem Verfahren genauso ersticken wie soziale Proteste. Die Lebenssituation der einkommensschwachen Bevölkerungskreise gerät vollends aus dem Blickfeld so genannter SozialpolitikerInnen. Politik orientiert sich nur noch an den Interessen der Vermögenden und „Besserverdienenden”. Umso dringlicher ist es jetzt, politischen Druck über Organisierung vor Ort und massive Proteste aufzubauen.

An dieser Stelle muss noch mal auf der Koalition wichtigstes strategisches Projekt aufmerksam gemacht werden: Im Kern geht es ihnen um Absenkung der Regelleistungen für alle erwerbsfähigen SGB II – Leistungsbezieher um sie durch „aushungern” zur Annahme von niedrigst entlohnten Tätigkeiten zu zwingen. Mit den jungen Erwachsenen soll als Testballon angefangen werden und wenn sie damit ohne große Proteste durchkommen, werden sie dieses Projekt auf alle SGB II-Leistungsbezieher ausdehnen. Weiteres dazu unter: http://www.tacheles-sozialhilfe.de/aktuelles/2006/absenkung_regelleistungen.html

Die Koalition hat möglicherweise einen strategischen Fehler gemacht: in dieser Eile, derart undemokratisch und ohne öffentliche Diskussion wurde in der bundesrepublikanischen Geschichte selten ein Gesetz durchgesetzt. Dieses Durchpeitschen eines Gesetzes innerhalb 1 ½ Wochen ist einmalig. Ihr Fehler kann sein, dass Wut bei den fast 7 Millionen Betroffenen aufkommt. Jetzt spüren diese, dass sie aus Regierungssicht nur „Unterschichten” sind und auch genau so mit ihnen umgegangen wird. Aberkennung von bürgerlichen Rechten und Rechtsstaatlichkeit für Erwerbslose.

Lasst es uns ihrem strategischen Fehler ausbauen! Damit sich daran eine breite Protest- und Widerstandsbewegung in diesem Land entwickelt, die der Regierung entgegenruft: Basta – jetzt reicht es!

Proteste sind bitter nötig, am besten gleich am Freitagvormittag vor dem Bundestag in Berlin. Außerdem bieten sich eine Gelegenheiten dazu am 18.02. in Köln gegen Wohnraumvernichtung (und hoffentlich auch Auszugsverbote), am 25.02. in Frankfurt gegen den Opernball, am selben Tag in Berlin gegen Armut (um 17:00 Uhr vor dem Roten Rathaus) und die bundesweite Demo am 3. Juni in Berlin „Widerstand ist angesagt!”)

Tacheles – Online Redaktion
Harald Thomé

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