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Das neue „Beitragsschuldengesetz”

Von Claudia Mehlhorn, Dipl.-Verwaltungswirtin (FH) und Dozentin für den Bereich „Krankenversicherung für Bearbeiter/innen SGB II, VIII und XII”

a) Regelungen in der GKV


Mit Einführung der Versicherungspflicht gem. § 5 (1) Nr. 13 SGB V für unversicherte Menschen, die zuletzt gesetzlich versichert waren oder der GKV zuzuordnen sind, entstanden seit Beginn zum 1. April 2007 nicht nur neue Mitgliedschaften, sondern in erheblichem Umfang auch Beitragsrückstände durch Nachforderungen der Kassen für zurückliegende Zeiten. In anderen Fällen wurde von der Anzeige der Mitgliedschaft abgesehen aus Angst vor den immensen nachzuzahlenden Beiträgen.
Die Kassen sind an dieser Stelle der Intention des Gesetzgebers, möglichst alle unversicherten Menschen wieder in eine Krankenversicherung zu bringen, häufig nicht gefolgt. In der Erstberatung von langjährig unversicherten Menschen wurde die sofortige Zahlung der aufgelaufenen Beitragsrückstände gefordert bis hin zur „Vorkasse”, bevor die Mitgliedschaft überhaupt eingetragen wurde. Sowohl diese Abwehrhaltung der Kassen als auch die bisherigen gesetzlichen Vorschriften hinsichtlich der nachzuzahlenden Beiträge haben dazu geführt, dass Mitte 2013 immer noch schätzungsweise rund 137.000 Menschen nicht krankenversichert sind, die Zugang zur GKV oder PKV finden könnten.
Zum 1. August 2013 wurde daher das umgangssprachlich „Beitragsschuldengesetz” in Kraft gesetzt. Korrekt ist es das „Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung” vom 15.7.2013, im Bundesgesetzblatt I Nr. 38 vom 8. Juli 2013 veröffentlicht. Inhaltliche Erläuterungen finden sich in der BT-DS Nr. 17/13947 ab S. 37: „Mit der Regelung des neuen § 256a SGB V soll bei zukünftig festgestellten Mitgliedschaften nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V eine Ermäßigung der rückwirkend nachzuzahlenden Beiträge deutlich vereinfacht und gefördert werden. Darauf entfallende Säumniszuschläge werden vollständig erlassen. Für bereits festgestellte Mitgliedschaften sollen die Rückstände, die zwischen dem Eintritt der Versicherungspflicht und der Feststellung der Mitgliedschaft angefallen sind, erlassen werden. Zusätzlich werden sowohl für Mitglieder nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V sowie für freiwillige Mitglieder noch nicht gezahlte, erhöhte Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 1a SGB IV - alt- erlassen.” Kern des neuen Gesetzes ist die Verlagerung der bisherigen Ermessensregelung im § 186 (11) SGB V in eine neue Sollregelung im neuen § 256a SGB V. Der Gesetzestext im § 186 (11) Satz 4,
„Zeigt der Versicherte aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach den in Satz 1 und 2 genannten Zeitpunkten an, hat die Krankenkasse in ihrer Satzung vorzusehen, dass der für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlende Beitrag angemessen ermäßigt, gestundet oder von seiner Erhebung abgesehen werden kann”

führte regelmäßig dazu, dass die Kasse dem Antragsteller unterstellte, vom neuen Gesetz (zum 1.4.07) gewusst haben zu müssen. Eine – tatsächlich in allen Satzungen der Kassen vorhandene - Regelung zur Ermäßigung bis hin zum Erlass fand daher regelmäßig keine Anwendung bzw. war nur mit aufwändigen Widerspruchsverfahren in die Praxis umzusetzen. Der Satz 4 im § 186 (11) SGB V wurde gestrichen. Nunmehr findet sich um § 256a SGB V folgende Formulierung, unterteilt in 4 Absätze:

§ 256a SGB V, Ermäßigung und Erlass von Beitragsschulden und Säumniszuschlägen


„(1) Zeigt ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 erst nach einem der in § 186 Absatz 11 Satz 1 und 2 genannten Zeitpunkte an, soll die Krankenkasse die für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden Beiträge angemessen ermäßigen; darauf entfallende Säumniszuschläge nach § 24 des Vierten Buches sind vollständig zu erlassen.

Die leidige Formulierung „aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat”, wurde ersatzlos gestrichen. Es kommt daher für die Entscheidung einer Ermäßigung des Beitrags nicht mehr darauf an, aus welchen Gründen die Anzeige der Versicherung nicht zeitnah zum Entstehen der Versicherungspflicht angezeigt wurde. Die bisherige Kann-Regelung wurde zur SollRegelung. Damit ist der Ermessensspielraum der Kassen für eine Ablehnung einer Ermäßigung erheblich eingeschränkt worden. Die Soll-Regelung bedeutet, dass im Regelfall eine Ermäßigung zu erfolgen hat und nur im begründeten Ausnahmefall eine solche Ermäßigung nicht erfolgen muss.
Weiterhin wurden die zu erhebenden Säumniszuschläge (5% pro Monat (60% im Jahr) – in der freien Wirtschaft wäre so etwas wegen „Wucher” vermutlich schnell gerichtlich weggeklagt worden) durch vollständigen Erlass (Muss-Regelung, sog. gebundene Entscheidung „sind zu erlassen”) beseitigt.
Eine Rückzahlung von ggf. bereits bezahlten Beiträgen/Säumniszuschlägen erfolgt nicht.

§ 256a Absatz 2 SGB V:


(2) Erfolgt die Anzeige nach Absatz 1 bis zum 31. Dezember 2013, soll die Krankenkasse den für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden Beitrag und die darauf entfallenden Säumniszuschläge nach § 24 des Vierten Buches erlassen. Satz 1 gilt für bis zum 31. Juli 2013 erfolgte Anzeigen der Versicherungspflicht nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 für noch ausstehende Beiträge und Säumniszuschläge entsprechend.

Bei allen Menschen, die ihre Versicherungspflicht gem. § 5 (1) Nr. 13 SGB V bis zum 31. Dezmber 2013 anzeigen /angezeigt haben, sollen die nachzuzahlenden Beiträge und die Säumniszuschläge vollständig erlassen werden. Bei allen Menschen, die bereits vor dem 31. Juli 2013 ihre Mitgliedschaft angezeigt haben (Bestandsfälle mit Beitragsrückständen), sollen die Beitragsrückstände sowie die Säumniszuschläge, die noch offen sind, ebenfalls erlassen werden.
Dies stellt somit i.d.R. eine Amnestie für die Betroffenen dar. Allerdings wurde der Spitzenverband Bund ermächtigt, hierzu das Nähere zu regeln (§ 256a Absatz 4 SGB V, s.a. die Ausführungen dort).
Achtung: Diese Beitragsamnestie umfasst nur den Zeitraum vom Entstehen der Versicherungspflicht (oft der 1.4.07) bis zur Feststellung der Versicherungspflicht. Die Beiträge, die lfd. ab Aufnahme als Mitglied zu zahlen waren, werden nicht erlassen, d.h. nach Feststellung der Versicherungspflicht aufgelaufene Beitragsschulden und Säumniszuschläge nach § 24 Absatz 1 SGB IV bleiben von der Regelung unberührt.
Diese Regelung soll möglichst viele derzeit noch unversicherte Menschen dazu motivieren, nunmehr umgehend bis zum Stichtag 31. Dezember 2013 ihre Mitgliedschaft bei der Kasse anzuzeigen, um in den Genuss der vollständigen Beitragsamnestie (incl. der Säumniszuschläge) zu kommen.
Für Mitgliedschaften, die nach dem Stichtag 31. Dezember 2013 angezeigt werden, gilt der Absatz 1 im § 256a SGB V und damit zumindest eine Sollregelung der Beitragsermäßigung mit einer Muss-Regelung des Erlasses der Säumniszuschläge.
Eine Rückzahlung von ggf. bereits bezahlten Beiträgen/Säumniszuschlägen erfolgt nicht.

§ 256a Absatz 3 SGB V:


(3) Die Krankenkasse hat für Mitglieder nach § 5 Absatz 1 Nr. 13 sowie für Mitglieder noch nicht gezahlte Säumniszuschläge in Höhe der Differenz zwischen dem nach § 24 Absatz 1a des Vierten Buches in der bis zum 31.7.2013 geltenden Fassung erhobenen Säumniszuschlag und dem sich bei Anwendung des in § 24 Absatz 1 des Vierten Buches ergebenden Säumniszuschlag zu erlassen.

Säumniszuschläge wurden und werden im § 24 SGB IV geregelt. Dort sah der Absatz 1a einen erhöhten Säumniszuschlag von 5% pro Monat für Pflichtversicherte gem. § 5 (1) Nr. 13 SGB V und für freiwillig Versicherte vor, die mit ihren Beiträgen im Rückstand waren. Statt regulär 1% pro Monat mussten bislang 5% pro Monat an Säumniszuschlägen bezahlt werden. Der Absatz 1a im § 24 SGB IV wurde gestrichen, sodass nun generell nur 1% pro Monat Säumniszuschlag bezahlt werden müssen.
Der Absatz 3 des neuen § 256a sieht vor, dass die Säumniszuschläge für die Vergangenheit sowohl für freiwillig Versicherte als auch für Pflichtversicherte gem. § 5 (1) Nr. 13 SGB V rückwirkend von 5% auf 1% heruntergesetzt werden müssen; der Differenzbetrag ist zu erlassen (Muss-Vorschrift).

§ 256a Absatz 4 SGB V:


(4) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen regelt das Nähere zur Ermäßigung und zum Erlass von Beiträgen und Säumniszuschlägen nach den Absätzen 1 bis 3, insbesondere zu einem Verzicht auf die Inanspruchnahme von Leistungen als Voraussetzung für die Ermäßigung oder den Erlass. Die Regelungen nach Satz 1 bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit und sind diesem spätestens bis zum 15. September 2013 vorzulegen.

Für die Umsetzung in der Praxis muss der Spitzenverband Bund konkrete Regelungen erarbeiten und dem BMG bis zum 15.9.13 zur Zustimmung vorlegen. In der Gesetzesbegründung gibt der Gesundheitsausschuss dem Spitzenverband Hinweise, wie diese Ausgestaltung aussehen sollte (vgl. BT-Drs. 17/13947, S. 39):
  • Geraten wird, dass sich die Berechnung der Höhe der Beitragsermäßigung für vergangene Zeiträume grundsätzlich an der Festlegung der Höhe des Beitrags im Rahmen einer Anwartschaftsversicherung nach § 240 Absatz 4a SGB V (sog. Ruhensbeitrag, in 2013 sind das monatlich 41,77 KV und 5,52 bzw. 6,20 PV) orientieren könnte.
  • Wichtigste Regelung, die sich bereits aus dem Absatz 4 ergibt, ist der Verzicht auf die Inanspruchnahme von Leistungen bei Inanspruchnahme des Beitragserlasses oder auch der Beitragsermäßigung. Damit wird eine rückwirkende Erstattung von Leistungen durch die Kasse bzw. die Begleichung von offenen Forderungen (z.B. bei Entbindungen, stationären Aufenthalten) einen Beitragserlass / eine Beitragsermäßigung ausschließen.
  • Man kann sich dann aber entscheiden:

    „Grundsätzlich ist jedoch die Möglichkeit, vom Beitragserlass keinen Gebrauch zu machen, sondern stattdessen den nachträglichen Versicherungsschutz, z. B. durch das Einreichen von Rechnungen in Anspruch zu nehmen, für alle Mitglieder sowohl vor als auch nach dem Stichtag zu sicherzustellen.”


Zusammenfassung:


  • Beitragsamnestie für alle Menschen, die ihre Pflichtversicherung gem. § 5 (1) Nr. 13 SGB V bis zum 31. Dezember 2013 anzeigen bzw. vor dem 31. Juli 2013 bereits angezeigt haben. Amnestie umfasst sowohl Beiträge als auch Säumniszuschläge für die gesamte Zeit vor der Eintragung der Mitgliedschaft. Allerdings kann und muss hier der Spitzenverband Bund Näheres regeln (bis zum 15. September 2013). Damit kann es Einschränkungen in bestimmten Fällen geben.
  • Bei Mitgliedsanzeigen ab dem 1. Januar 2014 soll für den rückliegenden Zeitraum der Beitrag ermäßigt werden (bislang war ein Ruhensbeitrag von rund 48 Euro monatlich „im Gespräch”). Säumniszuschläge müssen erlassen werden. Auch hier kann noch nichts Sicheres gesagt werden, weil der Spitzenverband Bund Näheres regeln kann und muss (bis zum 15. September 2013).
  • Bereits gezahlte Beiträge/Säumniszuschläge werden nicht erstattet.
  • Beitragserlass/Ermäßigung erfolgt nur dann, wenn für den rückliegenden Zeitraum keine Leistungen in Anspruch genommen werden. Man kann sich aber entscheiden, dass man die Beiträge nachzahlt und dafür einen Leistungsanspruch erwirbt.
  • Zu zahlende Säumniszuschläge werden sowohl für freiwillig Versicherte als auch für Pflichtversicherte gem. § 5 (1) Nr. 13 von 5% pro Monat auf 1% pro Monat abgesenkt. Für alle, bei denen Säumniszuschläge bereits festgesetzt wurden, sind diese rückwirkend von 5% auf 1% herabzusetzen; der Differenzbetrag ist zu erlassen. Diese Regelung ist insbes. für freiwillig Versicherte relevant, die nicht in den Genuss der Beitragsamnestie fallen.

b) Regelungen in der PKV


Auch in der PKV ist eine Beitragsamnestie für die dort erhobenen Prämienzuschläge (=Strafbeiträge) vorgesehen. Im § 193 (4) VVG wird folgender Satz angehängt:
„Wird der Vertragsabschluss bis zum 31. Dezember 2013 beantragt, ist kein Prämienzuschlag zu entrichten. Dies gilt für bis zum 31. Juli 2013 abgeschlossene Verträge für noch ausstehende Prämienzuschläge nach Satz 1 entsprechend.”

Wird der lfd. Beitrag (=Prämie) nicht bezahlt, tritt wie bisher nach 2 Monaten das Ruhen ein (Ausnahme: Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II oder XII). Liegt keine Hilfebedürftigkeit vor, so wird der Versicherte ab Beginn des Ruhens in den neuen Notlagentarif gem. § 12 h VAG überführt. Im Notlagentarif entfallen Risikozuschläge, Leistungsausschlüsse und Selbstbehalte. Im Notlagentarif werden nur Leistungen bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erbracht. Für Kinder und Jugendliche werden die vorgeschriebenen Vorsorgeuntersuchungen und die von der Stiko empfohlenen Impfungen erbracht.
Der reguläre Vertrag ruht, damit laufen aus dem Vertrag auch keine neuen Beitragsforderungen auf. Die Prämie im Notlagentarif ist bei allen PKVen gleich (100-150 €, je nach Altersrückstellung, die Kalkulation ist noch nicht endgültig). Nach Zahlung der rückständigen Beiträge ist eine Rückkehr in den vorherigen Tarif möglich. Die Umstellung in den Notlagentarif erfolgt rückwirkend zum Beginn des Ruhens.

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