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Angemessenheitsfiktion in den Unterkunftskosten - Für das Jahr 2020 und 2021 jetzt Überprüfungsanträge stellen!

Jetzt aktiv werden, um Ansprüche aus 2020 zu sichern!

Wurden 2020 und 2021 die Unterkunfts- oder Heizkosten nicht in tatsächlicher Höhe anerkannt, ist es jetzt Zeit Überprüfungsanträge zu stellen, um rückwirkend die Leistungsansprüche zu sichern. Das betrifft Menschen aus dem SGB II/SGB XII und sog. Analogleistungsberechtigte nach dem AsylbLG.

Im Rahmen des Sozialschutz-Pakets „Vereinfachtes Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aufgrund der COVID-19-Pandemie“ wird in § 67 Abs. 3 SGB II/§ 141 Abs. 3 SGB XII bestimmt, dass alle Unterkunfts- und Heizkosten nach § 22 Abs. 1 SGB II / §35 Abs. 1 SGB XII und § 42a Abs. 1 SGB XII unabhängig von ihrer Höhe als angemessen gelten und das es sich dabei um eine unwiderlegbare Fiktion handelt. Diese gesetzliche Bestimmung heißt »Angemessenheitsfiktion« und trifft für das ALG II, für die Sozialhilfe, und sog. Analogleistungsberechtigte nach dem AsylbLG, also Geflüchtete, die länger als 18 Monate in Deutschland sind, zu.

Gesetzeszweck dieser Schutzregeln ist, dass sich SGB II- und SGB XII - Leistungsbezieher in der Zeit der Pandemie "nicht auch noch um ihren Wohnraum sorgen müssen" (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs 19/18107, S 25).

Eine Ursächlichkeit zwischen dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit und der epidemischen Lage ist nicht erforderlich. Die Angemessenheitsfiktion ist nicht nur auf Erst- oder Neuanträge begrenzt, sondern erfasst alle Unterkunftskosten für Bewilligungsabschnitte, die in dem Zeitraum 01.03.2020 bis 31.03.2022 begonnen haben, bzw. noch beginnen werden. Dies auch dann, wenn weder die Hilfebedürftigkeit, noch der Umzug direkt auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sind (LSG Bayern 28.7.2021 – L 16 AS 311/21 B ER; LSG NRW 13.9.2021 - L 19 AS 1295/21 B ER; LSG Schleswig-Holstein 11.11.2020 – L 6 AS 153/20 B ER, L 6 AS 356/20 B PKH; LSG Niedersachsen-Bremen 29.9.2020 - L 11 AS 508/20 B ER).  

Die Fiktionswirkung betrifft auch alle Leistungsbeziehende („Bestandsfälle“), die im genannten Zeitraum einen Vertrag über eine Unterkunft eingegangen sind, auch wenn diese als „unangemessen“ gilt (§ 67 Abs. 3 S. 1 SGB II/§ 141 Abs. 3 S. 1 SGB XII). In diesem Fall gilt die Fiktionswirkung bis zum Ende des Bewilligungszeitraums (LSG Niedersachen-Bremen 29.9.2020 - L 11 AS 508/20 B ER). Wenn danach ein neuer Bewilligungszeitraum beginnt, wirkt sie wiederholt fort. Die Fiktionswirkung trifft auch bei einer hohen Nachzahlung an Betriebskosten oder Heizung ein.

Die Fiktionswirkung gilt auch bei einer vorherigen Begrenzung der Unterkunfts- und Heizkosten wegen eines „nicht erforderlichen Umzuges“ nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II. Auch in diesem Fall darf eine Begrenzung nicht stattfinden. „Die gesetzliche Fiktionswirkung des § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II gilt nach dem Wortlaut für § 22 Abs. 1 SGB II, ohne dass hinsichtlich der einzelnen Sätze des § 22 Abs. 1 SGB II unterschieden wird. Deshalb findet eine Deckelung auf einen früher anerkannten Bedarf an KdUH nicht statt“ (LSG Bayern 28.7.2021 – L 16 AS 311/21 B ER, Rn 37). Diese Begrenzung ist auch dann unzulässig, wenn wegen fehlender Umzugserfordernis vor dem 1.März 2020 schon gekürzt wurde.

Die »Angemessenheitsfiktion« findet allerdings nach § 67 Abs. 3 S. 3 SGB II/§ 141 Abs. 3 S. 3 SGB XII keine Anwendung, wenn im vorangehenden Bewilligungszeitraum (also vor März 2020) die Unterkunfts- und Heizkosten schon wegen „Unangemessenheit“ abgesenkt wurden.

Grundsätzlich ist es so, dass nach der Angemessenheitsfiktion die 6-monatige »Schonfrist« während des Kostensenkungsverfahrens gilt (§ 22 Abs. 1 S. 3 SGB II/ § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII, Groth, jurisPR-SozR 7/2020, Anm.1).

Aus dieser recht umfangreichen Fiktionswirkung entstehen jetzt Handlungsnotwendigkeiten. Wurden im letzten Jahr – also 2020 - die Unterkunfts- und Heizkosten rechtswidrig gekürzt, dann muss dieses Jahr noch ein Überprüfungsantrag eingereicht werden, um die Ansprüche für das Jahr 2020 noch zu erhalten (§ 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II / § 116a S. 1 Nr. 2 SGB XII). Natürlich ist ein solcher Überprüfungsantrag auch für das Jahr 2021 möglich und sinnvoll.

Diese betrifft folgende Fallgruppen:


1. Kürzung der Unterkunfts- und Heizkosten wegen Unangemessenheit bei Neuanmietung

Wurde nach dem 01.03.2020 eine Wohnung angemietet und das Jobcenter/Sozialamt hat nicht die tatsächlichen Unterkunfts- und Heizkosten anerkannt und wurden seitdem die Unterkunfts- und Heizkosten wegen Unangemessenheit nach § 22 Abs. 1 SGB II/ §35 Abs. 1 SGB XII und § 42a Abs. 1 SGB XII begrenzt, dann war diese Begrenzung rechtswidrig und sollte durch einen Überprüfungsantrag angegriffen werden.

 

2. Kürzung der Unterkunfts- und Heizkosten wegen fehlender Umzugserfordernis

Wurde nach dem 01.03.2020 eine Kürzung der Unterkunftskosten auf die bisherigen Kosten, wegen fehlender Umzugserfordernis nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II durchgeführt, dann war das rechtswidrig und sollte durch einen Überprüfungsantrag angegriffen werden.

3. Nichtübernahme von Betriebs- und Heizkostenabrechnungen

Wurde seit dem 01.03.2020 eine Betriebs- und Heizkostenabrechnung bei Jobcenter oder Sozialamt eingereicht und wurde die Übernahme wegen Unangemessenheit abgelehnt und gab es vorher keine wirksam gewordene Kostensenkungsaufforderung, dann war die Ablehnung rechtswidrig und sollte durch einen Überprüfungsantrag angegriffen werden.

 
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