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Absenkungsbescheide in der Regel rechtswidrig
I. Ausgangslage
In § 31 SGB II sind sehr harte Sanktionen in das Gesetz eingefügt worden, wenn von Seiten des Hilfebedürftigen z. B.
- eine Eingliederungsvereinbarung nicht abgeschlossen wird,
- die in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten nicht erfüllt werden,
- eine zumutbare Arbeit nicht aufgenommen oder fortgeführt wird.
Für die erste Pflichtverletzung wird die Regelleistung i. d. R. um 30 % abgesenkt. Für eine wiederholte Pflichtverletzung wird die Regelleistung um 60 % verringert. Zugleich fällt der Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld I weg. Die Sanktionen sind für erwerbsfähige Hilfebedürftige zwischen 15 und 25 Jahren noch gravierender. Bereits bei der ersten Pflichtverletzung wird die Regelleistung komplett gestrichen. Die Dauer der Kürzung bezieht sich dabei regelmäßig auf 3 Monate.
II. Umsetzung durch den Träger
Von Seiten der Verwaltungsträger wird die Sanktion durch Erlass eines Absenkungsbescheides umgesetzt.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass diese Bescheide bereits im Hinblick auf die Formalien rechtswidrig sind. Es kommt daher in der Regel nicht darauf an, ob tatsächlich eine Pflichtverletzung vorliegt oder nicht. Die Bescheide sind regelmäßig aus anderen Gründen bereits rechtswidrig und daher aufzuheben.
Es haben sich hauptsächlich folgende Probleme ergeben:
1. Rechtsfolgenbelehrung
Die Kürzung darf nur vorgenommen werden, wenn der Betroffene durch den Leistungsträger vorher über die Rechtsfolgen belehrt worden ist. Zum Teil muss hier eine schriftliche Belehrung erfolgen.
Die Verwaltungsträger berufen sich häufig auf die Belehrung in der Eingliederungsvereinbarung. Diese Vereinbarung kann unter Umständen Monate zurückliegen.
Absenkung und Kürzung setzen stets eine Rechtsfolgenbelehrung voraus, die Warn- und Erziehungsfunktion hat. Sie darf sich nicht in einer bloßen Formalie oder formelhaften Widerholung des Gesetzestextes in einem allgemeinen Merkblatt erschöpfen, sondern muss konkret, eindeutig, verständlich, verbindlich und rechtlich zutreffend die unmittelbaren und konkreten Auswirkungen eines bestimmten Handelns vor Augen führen und im engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Obliegenheitsverletzung stehen (z. B. Sozialgericht Aurich, Beschluss vom 29.08.2006, Az. S 15 AS 339/06 ER)
Entscheidend ist also, dass der Hilfebedürftige eine auf den Einzelfall bezogene Belehrung zeitnah vor der jeweiligen Maßnahme erhält.
2. Anhörung
Gemäß § 24 SGB X ist vor dem Erlass eines Verwaltungsaktes, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
Von der Anhörung kann lediglich in den in § 24 Abs. 2 SGB X abschließend aufgezählten Fällen abgesehen werden. Es greift jedoch ein solcher Ausnahmefall hier nicht ein. Damit ist eine Anhörung zwingende Voraussetzung für einen rechtmäßigen Absenkungsbescheid.
Die fehlende Anhörung kann nach §41 Abs. 2 SGB X bis zur letzten Tatsacheninstanz im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden. Die Anhörung muss dabei durch die Verwaltung erfolgen. Eine Darstellung der Tatsachen gegenüber dem Gericht (z.B. im Rahmen des Eilverfahrens) ist hier nicht ausreichend (Kasseler Kommentar, SGB X, 55. EL 2007, §10 Rn. 26).
Die Anhörung hat durch das Gesetz einen besonderen Stellenwert erhalten (vgl. §42 S. 2 SGB X). Es ist durch das Gericht im Einzelfall zu prüfen, ob tatsächlich eine Heilung der Verfahrensvorschriften bewirkt wurde oder ob lediglich ein fehlgeschlagener Heilungsversuch stattgefunden hat. Entscheidend ist, ob der Zweck der versäumten Handlung durch die Nachholung erst im gerichtlichen Verfahren noch verwirklicht werden kann (Kasseler Kommentar, a.a.O.).
Nach §31 Abs. 1 S. 2 SGB II wurde eine Beweislastumkehr in das Gesetz aufgenommen. Danach wird eine Absenkung nicht vorgenommen, wenn der Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist.
Dieser Nachweis kann nur erbracht werden, wenn vor Erlass des Absenkungsbescheides eine ordnungsgemäße Anhörung erfolgte. Hier erlangt also die Anhörung weitergehende Bedeutung. Erst dadurch kann die Behörde überhaupt entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Absenkung erfüllt sind.
Aus der Gesetzesbegründung zu §31 SGB II geht hervor, dass nur der Nachweis für den wichtigen Grund in dem Verantwortungsbereich des Hilfebedürftigen verlagert werden sollte. Der Sachverhalt ist weiterhin von Amts wegen zu ermitteln und zu würdigen (Hauck/Noftz, SGB II, 15. EL, §31 Rn. 73).
Insoweit wird die Auffassung vertreten, dass im Falle einer Absenkung von Leistungen eine Heilung einer unterlassenden Anhörung nicht möglich ist.
3. Bestimmtheitserfordernis
Der Absenkungsbescheid muss so bestimmt sein, dass der Hilfebedürftige (ohne Beratung mit einem Rechtsbeistand) erkennen kann, welche Leistungen noch verbleiben.
Bei einer Sanktionsentscheidung nach § 31 SGB II ist es unabdingbar, dass dem entsprechenden Bescheid ein genauer Absenkungsbetrag zu entnehmen ist, um dem Bestimmtheitserfordernis des § 33 Abs. 1 SGB X zu entsprechen (Sozialgericht Lüneburg, Beschluss vom 12.12.07, Az. S 25 AS 1675/07 ER).
Der Bescheid darf keine Eventualitäten ("unter Wegfall des eventuell zustehenden Zuschlages nach § 24 SGB II") oder nicht näher bestimmte Höchstgrenzen ("höchstens jedoch in Höhe des zustehenden Auszahlungsbetrages") enthalten (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.10.2006, Az. L 8 AS 4922/06 ER-B).
Die mangelnde Bestimmtheit des Verwaltungsaktes kann nicht nach § 41 SGB X geheilt werden, da es sich nicht um einen Formfehler handelt (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.07.2007, Az. L 28 B 1087/07 AS ER ).
4. Zeitpunkt
Nach dem Gesetz kann die Absenkung erst im Folgemonat nach Erlass des Bescheides wirksam werden (§ 31 Abs. 6 SGB II).
Ist der Bescheid also z. B. am 09.01.2008 erlassen, kann die Absenkung frühestens zum 01.02.2008 wirksam werden.
III. Fazit
Es lohnt sich in jedem Fall, die Absenkungsbescheide durch einen fachkundigen Berater prüfen zu lassen. Dabei muss die aktuelle Rechtsprechung bekannt sein.
Es sollte in jedem Fall Widerspruch eingelegt werden. Das Widerspruchsverfahren nimmt regelmäßig erhebliche Zeit in Anspruch. Deshalb wird die Einleitung eines Eilverfahrens zum Sozialgericht angezeigt sein.
Raik Pentzek
Fachanwalt für Sozialrecht
Eisenbeis Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , Greiswald
www.eisenbeis-rechtsanwaelte.de
20. Januar 2008